Sonntag, 4. November 2007

Intimes veröffentlichen?

Wir plädierten immer für eine klare Grenzziehung zwischen Privatheit und Oeffentllichkeit. Immer mehr stellen wir fest, dass Prominente Privates ins Schaufenster stellen und stolz Intimes preisgeben. Aus unserer Sicht ist dies ein fahrlässiger Fehler.

Vor Mikrofon und Kamera verlieren immer mehr - der sonst so zugeknöpften Prominenten - aus unverständlichen Gründen sämtliche Hemmungen. Im «Doppelpack», dem samstäglichen Interview des People-Magazins «Glanz und Gloria», gaben die Stars seit August reihenweise detaillierte Auskunft über ihr Sexleben.

«Selbstverständlich onaniere ich», verriet der sonst so intelligente Ursus vom Clownduo Ursus und Nadeschkin. «Das klappt überall.» Auch Ex-Miss-Schweiz Karina Berger erzählte, sie befriedige sich «ab und zu» selber.

«Wir schauen oft Pornos», gab Beat Breu mit seiner Verlobten Heidi Stampfli dem Publikum preis. Auch Ex-Miss Lauriane Gilliéron prahlte mit Nahverkehrs-Erlebnissen. Wetterfrosch Jörg Kachelmann sogar mit Sex bei 120 Kilometern pro Stunde und fügte bei - als finde er es lustig - «und trotzdem passierte kein Unfall».

Epiney kam Jahren immer wieder auf seine Homosexualität zu sprechen.

Ex-Miss Fiona Hefti gestand dem Fernsehpublikum, sie habe schon Orgasmen vorgetäuscht.

Röbi Koller gestand, dass er von Erotik am Strand träume und Tagesschausprecherin Katja Stauber lockerte unbedachterweise ihre Zunge und sprach von ihrer wilden Teenagerzeit.

Diese hemmungslose Offenheit bei unseren Stars kannten wir bislang nicht!

Aussagen zum Sexleben waren in der Regel ein Tabu. Wollte früher ein Journalist etwas über Intimes fragen, so riskierte er die verärgerte Bemerkung:

"Das ist meine Privatsache!"

Wir fragen uns: Haben sich die Zeiten geändert oder sind die Promis heute naiver geworden und glauben, es gehöre zum guten Ton, dem ganzen Land Einblicke in ihr Schlafzimmer zu gewähren?

Das unbedachte Verhalten könnte damit begründet werden:

Die Stars werden unablässig mit derartigen direkten, persönlichen Fragen bombardiert. Sie werden überrascht und haben das Gefühl, dass ihre Kollegen angeblich "mutig und offen" das Intimleben vor Mikrofon und Kamera preisgeben und meinen, das müssten sie ebenfalls tun. Das gehöre zu einer modernen offenen Haltung. Viele Promis haben nicht gelernt, diese intimen Fragen zu antizipieren und intime Fragen konsequent mit einer vorformulierte Standard-Antworte zu stoppen. Wenn andere so "blöd" sind und sich aufs "dünne Eis" begeben, haben sie das Gefühl, man müsse mithalten oder sie lassen sich im Trommelfeuer der Fragen (Ueberraschungs- und Wiederholungstaktik) weichklopfen. Dazu kommt, dass sie von den Journalisten für diese "Offenheit" meist gelobt werden.

Aus meiner Sicht waren die beiden DJs Antoine und Tatana bereits auf dem Eis eingebrochen, als die offen zu ihrer Vorliebe für Oralsex standen. Auch Roman Kilchsperger glaubte, er mache sich beliebt, wenn er von seinen Sexfantasien erzähle, die so dunkel seien, dass er Angst habe, niemand würde dabei mitmachen. Ich wunderte mich, dass sogar der erfahrene Kurt Felix vor Mirkofon und Kamera sich dazu hergab, den unverklemmten Sexonkel zu mimen, indem er sich bemühte, die Zuschauer darüber aufzuklären wo sich der G Punkt bei der Frau befindet : «Der G-Punkt ist hinter der Klitoris, drei Zentimeter weit oben.»

Die angebliche Offenheit bei Interviews scheint heute keine Grenzen mehr zu haben.

Männer beichten ohne Wimpernzucken über den Bordellbesuch: «Klar war ich schon im Puff», sagten DJ Antoi­ne, Breu und Kilchsperger. Kilchberger ging sogar so weit und behauptete, wer vor dem 34. Altersjahr nicht für Sex bezahlt hat, habe nicht richtig gelebt.

   Intimes öffentlich machen- Ja oder Nein?

«Der Trend zum Outing wird immer stärker», sagt der Schweizer Medienexperte Roger Blum. Zitat Sonntagsblick:

Früher wäre es keinem Homosexuellen eingefallen, zu seinen sexuellen Vorlieben zu stehen, heute zerfliessen die Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichem. Dass die Menschen offener würden, sei an sich positiv, so Blum. «Doch es gibt eine Grenze: Die Privatsphäre. Sie sollte als Schutz dienen.» Blum stellt fest, dass diese Grenze am Verwischen ist. Der bekannte Berner Paartherapeut Klaus Heer teilt Blums Einschätzung:

«Unsere Medien sind voll nackter Haut. Und sie sind geschwätzig wie nie, wenn es um Sex geht. Es sieht so aus, als wären wir alle ­offen bis in unsere letzten Schamfalten. Wer mag da schon zickig und verklemmt erscheinen und die Aussage verweigern, wenn er nach sexuellen Intimitäten gefragt wird?».

Kommentar:

Es hat nichts mit Verklemmtheit oder mit einem zickigem Verhalten zu tun, wenn prominente Persönlichkeiten eine klare Grenze zwischen Privatheit und Oeffentlichkeit ziehen. Aus meiner Beratertätigkeit habe ich immer wieder erlebt, dass all jene, die konsequent Intimes für sich behalten konnten, langfristig besser gefahren sind, als jene angeblich offenen "Plauderis". Das konsequente Verhalten geht leider kaum ohne Training. Es bedarf einer gehörigen Portion Standhaftigkeit. Vor allem bei überraschenen Fragen oder wenn Journalisten Druck ausüben

Die angebliche Offenheit und Mediengeilheit wird meist zum Bumerang . Sie schadet langfristig der prominenten Person. Wer unseren Rat in den Wind schlägt und die "Kameras ins Schlafzimmer lässt" muss sich nicht wundern, wenn er früher oder später auf dem dünnen Eis einbricht. Jeder Mensch hat nämlich ein Recht auf Privatheit und ist NIE verpflichtet, Journalisten die Türe zur Privatheit zu öffnen, wenngleich dies die Medien das für Leben gerne hätten. Journalisten dürsten verständlicherweise nach intimen Geschichten und versuchen alles, um zu diesen "verkaufsträchtigen" Storys zu kommen.

Siehe auch: rhetorik.ch: Privatheit und Oeffentlichkeit (unter AKTUELL)