Mittwoch, 22. April 2009

Gas oder Menschenrechte?

Folgender Artikel Tagi-online gibt dem Entgegenkommen der Schweizer -während und nach der Hassrede in Genf - eine neue denkwürdige Dimension.

Gaspipeline nach Europa oder Menschenrechte? Bundesrätin Micheline Calmy-Rey.

Gaspipeline nach Europa oder Menschenrechte? Bundesrätin Micheline Calmy-Rey. Bild: Keystone

Am Dienstag tauchte Aussenministerin Micheline Calmy-Rey bei der UNO-Konferenz gegen Rassismus auf. Sie lobte in einer Rede die Verabschiedung der Schlusserklärung und kritisierte den Auftritt des iranischen Staatspräsidenten Mahmud Ahmadinedschad.

Vor allem verteidigte sie aber den Verbleib der Schweizer Delegation im Saal während der Rede Ahmadinedschads. Die Politik des leeren Stuhls sei nicht die Politik der Schweiz, rechtfertigte sich die Schweizer Aussenministerin.

Eigenartig: Auch Norweger blieben im Saal

Könnte es sein, dass die Schweiz auch andere Gründe hatte, im Saal zu bleiben? Auch die Norweger blieben sitzen – zufällig genau jene Nation, mit der die Schweiz den Bau einer Gaspipeline aus dem Iran nach Europa plant. Natürlich sind es in erster Linie privatrechtliche Unternehmen wie die Energiegesellschaft Laufenburg (EGL) und die norwegische StatoilHydro, welche diese Gasleitung bauen wollen. Die Pipeline soll die Gasversorgung in Südeuropa sicherstellen.

Spätestens seit Tausende Südeuropäer wegen des Streits zwischen Russland und der Ukraine vorübergehend frieren mussten, weil die Versorgung mit Gas unterbrochen war, hat der Bau einer von Russland unabhängigen Versorgungsroute an Bedeutung gewonnen - auch für die EU. Sie konkurrenziert mit ihrem Projekt «Nabucco» die Pläne der Schweiz und Norwegen. Ihre Vertreter blieben in Genf aber trotzdem nicht im Saal. Hat die Schweiz also die Nase vorn?

Ob jemals Gas durch die Pipeline der EGL nach Südeuropa fliessen wird, das steht noch nicht fest. «Wenn man aber will, dass die Projekte vorankommen, dann müssen die Regierungen dem Projekt zustimmen und den jeweiligen Ländern ihre Aufwartung machen», erfährt man von Marianne Zünd, der Informationschefin im Bundesamt für Energie. So reiste zum Beispiel Bundesrat Leuenberger nach Aserbaidschan und unterschrieb dort ein «Memorandum of Understanding», eine Art Absichtserklärung. Unter Umständen wird das Gas aus Aserbaidschan nach Westeuropa fliessen.

Calmy-Rey pushte Treffen mit Ahmadinedschad

In den Iran reiste 2008 Aussenministerin Micheline Calmy-Rey. Leuenberger habe einen anderen Termin wahrnehmen mussen, heisst es. Noch mehr als die Unterzeichnung des Gas-Liefervertrags gab der Auftritt der Aussenministerin zu reden. Die Tatsache, dass Calmy-Rey sich beim Tête-à-Tête mit Mahmud Ahmadinedschad mit einem Schleier bedeckte, führte in der Schweiz zu heftiger Kritik an der Aussenministerin.

Ihre Lehren hat sie daraus insofern gezogen, als dass sie diesmal Bundespräsident Hans-Rudolf Merz vorschickte. Sie habe wegen des Gasdeals Merz zu einem Treffen mit dem iranischen Staatspräsidenten gedrängt, sagen Insider. Merz traf Ahmadinedschad. Das Bild des frivol lachenden Merz im Gespräch mit dem iranischen Staatspräsidenten brachte der Schweiz international Prügel ein - womöglich wegen eines unsicheren Gasdeals.

Eine lesenswerte amüsante Kolumne über zwei Grundformen des Lächelns:

Das sogenannte Duchenne-Lächeln (echtes Lächeln) und das «soziale Lächeln», das auf die Umgebung reagiert.

Soziallächler

Von Thomas Widmer. Aktualisiert am 21.04.2009

Thomas Widmer.

Thomas Widmer.

Das Lächeln unseres Bundespräsidenten Hans-Rudolf Merz am Sonntag in Genf ist um die Welt gegangen. Drückt es tatsächlich Komplizenschaft mit dem Bösen in Gestalt von Irans Präsident aus – warum empfinden manche dieses Lächeln als frivol?

Die Gelotologie, die Wissenschaft vom Lachen, kennt zwei Grundformen des Lächelns: das sogenannte Duchenne-Lächeln, absichtslos, tief, aus wahrer Freude entspringend. Und das «soziale Lächeln», das auf die Umgebung reagiert. Es entkrampft, zeigt Grundsympathie, guten Willen, baut Beziehungen auf. Schon Säuglinge besitzen auch dieses soziale Lächeln.

Der sichtbare Unterschied: Beim zweckfreien Duchenne-Lächeln sind laut Forschern die Muskeln links und rechts der Augen beteiligt. Davon kann auf den Merz-Fotos von Genf nicht die Rede sein. Die Zähne sind gebleckt, die Muskeln um den Mund angespannt – aber die Augenpartie macht nicht mit.

Merz lächelte in Genf also sozial. Taktisch. An sich ist das professionell. Der Politiker sagt dem Politiker: «Hey, ich beisse nicht. Wir können reden.»

Allerdings ist Merz ein forcierter Soziallächler. Man nehme das offizielle Bundesratsfoto. Ueli Maurer lächelt scheu; als Hardliner muss er auf der Strasse ja auch stets damit rechnen, dass einer ihm den Vogel zeigt oder schlimmer. Micheline Calmy-Rey grinst so ehrgeizig maskenhaft, dass die Mundwinkel die Ohren erreichen. Moritz Leuenberger lächelt moralisch-mitleidvoll aus erhabener Warte.

Doris Leuthard, mit geschlossenem Mund schmunzelnd, spielt gutmütige Gotte.

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Pascal Couchepin markiert durch Knapplächeln etatistische Reserviertheit.

Und Eveline Widmer-Schlumpf kneift die Lippen zur Linie zusammen. Sie will Respekt nur für ihre Leistung.

Von allen lächelt der Ausserrhoder Merz am festesten. Dazu etwas helvetische Physiognomik: Den Romand (Couchepin) steuert die Schwere der französischen Mission civilisatrice.

Will den Prämienaufschlag stoppen: Bundesrat Pascal Couchepin.

Beim politisierenden Tessiner schleicht sich die Gravitas des römischen Senators ins Mienenspiel (Flavio Cotti). Der stoische Berner nutzt die Gesichtsmuskulatur kaum (Samuel Schmid, der unbewegte Mann).

Merz, sympathie- und harmoniesüchtig, verkörpert die gewitzte Appenzeller Frohnatur.

Hans-Rudolf Merz in Genf, von der Seite fotografiert, lächelte also gar nicht breit – für seine eigenen Begriffe. Doch von aussen gesehen wirkte die Gebissentblössung heftig. Dies umso mehr, als der Merz-Schädel weitgehend haarlos ist: Jedes Signal in diesem nackt-hageren Gesicht ist ein starkes Signal. Leider ist es nun aber so, dass ein guter Politiker seine Mimik beherrscht und nicht umgekehrt. Zudem: Das diplomatische Genfer Parkett ist etwas ganz anderes als der Herisauer Obstmarkt. (Tages-Anzeiger)

Erstellt: 21.04.2009, 22:59 Uhr

Kommentar: Kommt hinzu, dass das Lachen der Appenzeller oft eine Prise des giftigen Appenzeller Witzes hat. Bei den Medienauftritten stellte ich immer wieder fest, dass Bundesrat Merz auch bei ernsthaften Antworten immer wieder sein typischen kurzes Lächeln aufsetzt.

Lächeln, das mit der Aussage nicht überein stimmt, beeinträchtigt Kommunikationsprozesse. Es zählt zu den pardoxen Verhaltensweisen. Micheline Calmy- Rey zeigte früher ständig mit breitem Lachmund die Zähne. Doch erwies sich ihr "Blecken" als eine Methode, auf angeblich freundliche Art die Zähne zu zeigen. In Genf trug sie den Uebernamen "la Cruelle" (die Schreckliche). Tatsächlich verstand sie es immer wieder, den Gegnern nicht nur die Zähne zu zeigen. Sie konnte auch beissen.

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rhetorik.ch aktuell: Körpersprache und Bundesrat

19. Dez. 2007 ... Erstaunlicherweise zeigt die Bundespräsidentin auf dieser Foto nicht mehr das künstliche Lachen von früher, mit dem Zähnezeigen. ... www.rhetorik.ch/Aktuell/07/12_19/index.html - 10k -Cached - Similar pages

Politikerportraits

Politikerportraits. ... Ausstellungstext, Politiker Portraits, DRS2, 1. November 2008, Redaktion: Karin Salm. Ausstellung im Museum für Gestaltung in ... www.rhetorik.ch/Politikerportraits/Politikerportraits.html - 8k - Cached - Similar pages

Bundespräsident Merz begreift den Aerger nicht

Obschon die Schweiz ein Vermittlungsmandat hat und auf Wunsch einer Seite den Dialog nicht abbrechen durfte, hätte Bundesrat Merz voraussehen müssen, dass der gemeinsame lächelnde Auftritt mit einem Holocaustleugner, Verweigerer von internationalen Abmachungen und wiederholten Hasspredigen gegen den Staat Israel - Folgen haben wird. Obschon Micheline Calmy-Rey mit einer unvorhergesehener Rede gestern in Genf die Wogen der Entrüstung glätten wollte, ist der Graben noch lange nicht zugeschüttet zwischen Israel und der Schweiz.

20 Min zitiert aus der amerikanischen Presse:

US-Medien

Schweiz reichte «dem Hitler von heute die Hand»

Die Hasstirade des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad gegen Israel anlässlich der Antirassismus-Konferenz in Genf macht in den USA Schlagzeilen. Diese werfen zum Teil auch ein schlechtes Licht auf das Gastgeberland Schweiz

Kommentar: Wie bei Bankengeheimnis gelang es dem Bundesrat nicht, der Presse glaubhaft zu kommunizieren, weshalb die Schweiz den Dialog mit dem "Hitler von heute" pflegen muss. Wäre es nicht auch möglich gewesen, diese Vermittlungsaufgabe auf diplomatischer - nicht auf Regierungsebene - zu führen. Dass Ahmadinedschad als Rassist den Auftritt am Antirassismuskongress missbrauchen wird, war vorhersehbar.

Ein Leser schrieb uns gestern:

"Mich wunderte es, dass ein Rassist an einem Kongress das Wort erteilt wird, bei dem es um die Bekämpfung des Rassismus geht. Ich könnte mir kaum vorstellen, dass an einer Antirauchertagung einem Vertreter der Tabaklobby überhaupt eine Werbeplattform zur Verfügung gestellt wird."

Eine Frau fand:

"Spätestens dann, als Ahmadinedschad die Plattform in Genf missbraucht hatte, wäre es angebracht gewesen, dass auch die Schweiz ein Signal des Protestes gezeigt hätte. Die Duldung von rassistischen Aeusserungen hat nichts mehr mit Redefreiheit zu tun. In der Schweiz wird eine Normalbürger bestraft, wenn er gegen das Antirassismusgesetz verstösst. Unglaublich: Bei einem echten Rassisten beruft sich der Bundesrat auf die Redefreiheit!"