Samstag, 22. August 2009

Bundespräsident Merz setzt sich in die Nesseln

Dies könnte Folgen haben

Zu den Fakten (Quelle Blick):

Hans-Rudolf Merz wollte ganz allein Staatsmann sein. Das ging schief. Die Schweiz ist gedemütigt, das Schicksal der Geiseln ungewiss.

Hans-Rudolf Merz am Donnerstag in Tripolis: «Die Schweiz ist bereit, sich für die ungebührliche und unnötige Verhaftung von Hannibal Gaddafi und seiner Familie durch die Genfer Polizei und für andere Schweizer Behörden zu entschuldigen.» (Keystone)

Das hat es in der neueren Schweizer Geschichte noch nicht gegeben:

Ein Bundesrat reist im Alleingang zu einem Despoten, wird dann nicht einmal vorgelassen, unterzeichnet mit einem Lakaien einen fragwürdigen Vertrag – und muss trotzdem mit leeren Händen zurückreisen. Der Ausflug von Hans-Rudolf Merz in die grosse diplomatische Welt ist ein Desaster. Der Gaddafi-Clan ist sauer auf die Schweiz, weil vor der Schweizer Justiz alle gleich sind. Denn in Genf wurden Gaddafi-Sohn Hannibal und seine Frau verhaftet, weil sie Hausangestellte geschlagen und mit heissem Wasser verbrüht hatten. Daraufhin lief der Clan Amok: Zwei Schweizer wurden in Libyen als Geiseln genommen, die Öllieferungen eingestellt und Gelder aus der Schweiz abgezogen. Prügel-Hannibal träumte gar davon, eine Atombombe auf die Schweiz zu werfen. Seit einem Jahr arbeitet eine Taskforce von erfahrenen Diplomaten an einer Lösung für die Spannungen zwischen Gaddafi und der Schweiz. Recherchen von Blick.ch zeigen, dass seit längerem der Entwurf einer Vereinbarung mit Libyen vorliegt. Zwei Punkte waren für die Schweiz nicht verhandelbar:

1. Man entschuldigt sich nicht.

2. Wenn ein ­Regierungsmitglied nach Libyen reist, kommen auf dem Rückflug im selben Flugzeug auch die Schweizer Geiseln mit nach Hause.

Zur KRITIK: • Die Geiseln sind nicht befreit. Garantien fehlen, dass die beiden Schweizer bis 1. September frei sind.

• Der Bundesrat wurde hintergangen. Merz informierte zwar summarisch über seine Libyen-Ambitionen Doch der Restbundesrat ging davon aus, dass Merz nur mit klaren Zusagen nach Tripolis fliegt. Ohne Entschuldigung und indem er die Geiseln gleich mitnehmen wird. Ein einzelner Bundesrat darf nach Verfassung gar keinen Vertrag unterschreiben, ohne dass der Gesamtbundesrat zugestimmt hat.

Auch das EDA wurde hintergangen. Das EDA machte zwar Vertragsentwürfe. Doch Merz verfasste einen neuen Vertrag. EDA: «Der Vertrag, so wie er ausgehandelt und unterzeichnet worden ist, war weder mit der Vorsteherin des Departements noch mit der Direktion für Völkerrecht abgesprochen.»

Auch die Genfer Regierung wurde hintergangen. Mit dem Alleingang hat Merz auch die Genfer Regierung desavouiert.

Im Grunde genommen hatte sich Libyen für seine Angriffe gegen einen Rechtsstaat entschuldigen müssen.

Quelle Tagi:

Micheline Calmy-Rey widerspricht Hans-Rudolf Merz

Das Departement für auswärtige Angelegenheiten von Micheline Calmy-Rey bestreitet auf Anfrage Aussagen von Hans-Rudolf Merz zum Vertrag von Tripolis

Uebrigens: Die anderen Bundesräte haben alle eine Entschuldigung bei Gaddafi immer abgelehnt. Vor allem: Der von Merz unterzeichnete Kniefall-Vertrag ist bindend, auch wenn er in der Schweiz nicht verfassungskonform zustande gekommen ist.

Merz gab gestern indirekt zu, er habe auf eigene Faust gehandelt. Er habe die Situation mit Libyen deblockieren wollen, sagte er. «Es galt, einen Führungsentscheid zu treffen, und den habe ich getroffen.» Er will die Verantwortung auf sich nehmen. Wir fragen uns: Mit allen Konsequenzen?

Die Verärgerung in der Oeffentlichkeit ist verständlich «So gehts nicht! Wie in den Fällen Tinner und UBS erfahren wir auch jetzt wieder erst im Nachhinein und aus den Medien von der Reise», so Dick Marty (FDP), Präsident der aussenpolitischen Kommission des Ständerats.

Merz kann jetzt nur hoffen, dass die zwei Schweizer Ende nächster Woche frei sind. Garantien hat der Bundespräsident keine. «Ich stehe zu diesem Vertrag, ich werde die Verantwortung dafür übernehmen.» Konkret könnte dies heissen: Rücktritt. Falls die Schweizer nicht frei kämen, würde es für Merz ungemütlich. Ein Bundesrats-Vertrauter sagte nach Blick: «Merz kann nur warten und beten. Entweder sind die Geiseln nächste Woche in der Schweiz, oder wir haben eine zweite Vakanz im Bundesrat.»

Tagi:

Merz genervt: «Ja, ja, ich habe alles falsch gemacht»

Bundespräsident Hans-Rudolf Merz beantwortete am frühen Nachmittag Fragen zu seinem umstrittenen Besuch gestern in Tripolis. Tagesanzeiger.ch/Newsnetz berichtete live mit Web-TV.

Merz tritt pünktlich um 13.30 Uhr vor die Medien. Und beginnt mit seiner Erklärung: Er habe die Reise nach Libyen lange vorbereiten können, es sei keine Blitzaktion gewesen. Er habe zwei Ziele gehabt. Erstens zu schauen, dass die beiden Geiseln nach Hause reisen können. Das zweite Ziel war, dass sich die Beziehungen zwischen der Schweiz und Libyen normalisieren.

Bücklingverhalten des Bundesrates darf nicht Standard werden:

Wir erinnern an das Verhalten des Bundesrates bei Dalai Lama:

Ich zitiere aus dem BUND:

«Peinlicher und feiger Bückling»

«Wir erwarten, dass die Schweiz als neutrales Land wie andere Rechtsstaaten weltweit auch einen Friedensnobelpreisträger auf höchster Ebene trifft und nicht nur Wen Jiabao oder den iranischen Präsidenten Ahmadinejad», sagt Karma Pangring, der Präsident der Tibetergemeinschaft in der Schweiz. «Wenn der Bundesrat den Dalai Lama nicht empfängt, ist dies ein peinlicher und feiger Bückling vor China», findet der Zürcher Nationalrat Mario Fehr, der die Parlamentarische Gruppe für Tibet präsidiert. «Wenn die Schweiz mit China einen echten Menschenrechtsdialog führen will, muss sie auch jene unterstützen, die eine friedliche Lösung der Tibet-Frage wollen.»

Bei der Aushändigung der UBS Kundendaten handelte der Bundesrat ebenfalls mit einem vorschnellen Bücklingsverhalten. Nachträglich hat sich gezeigt: Es war ein rechtswidriges unnötiges Nachgeben.

Aus Fehlern müsste man lernen!

Fehler dürfen wir alle machen. Aber nicht immer die Gleichen!

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Die Kritik reisst nicht ab

Der Bundesrat wollte nie eine Entschuldigung - höchstens ein Bedauern! Dennoch hat sich der Bundespräsident entschuldigt und eigenmächtig die Schuld auf sich genommen. Dass ein Politiker im Alleingang einen Schuldigen entschuldigt, stösst bei vielen sauer auf. Eine gewisse Zurückhaltung bei Politikern ist nur deshalb spürbar, weil zurzeit niemand die beiden Schweizer gefährden will. Dass ein Erpresser entschuldigt wird, ist und bleibt unverständlich. Im Grunde genommen eine verkehrte Welt.

Nachtrag NZZ

Die Kritik an Bundespräsident Merz reisst nicht ab. Nun wollen sich auch die Kantone auf Wunsch Genfs mit der umstrittenen Entschuldigung befassen. Sie sehen die Polizeihoheit der Kantone gefährdet. Auch im Bundesrat gehen die Meinungen offenbar ausseinander. ...weiter lesen «Genf ist mit Kritik an Merz nicht alleine»

20 Min:

Affäre Gaddafi

Merz war nicht zum Vertragsschluss berechtigt

Mit seiner in Libyen vorgebrachten Entschuldigung und der Unterzeichnung des umstrittenen Abkommens hat Bundespräsident Hans-Rudolf Merz seine Kompetenzen möglicherweise überschritten. Er handelte nämlich ohne Mandat des Bundesrats, wie er selber zugab

Nachtrag (Quelle Blick):

Eisernes Schweigen, Anspielungen, indirekte Bemerkungen, die doch viel sagen!

Eisiges Schweigen. Ausgerechnet die Bundesrätin, die seit Monaten mit dem Fall Libyen betraut ist, beschränkt sich am Wochenende nach dem Kniefall des Aussenministers vor Libyen auf ein auffallend dürres Statement.

Wichtig sei, dass die beiden Schweizer endlich ausreisen könnten, gab Bundesrätin Micheline Calmy-Rey der «SonntagsZeitung» und «Le Matin Dimanche» zu verstehen. Andere Fragen zum Thema wollte sie nicht beantworten. «Ich sage dazu nichts weiter.» Weil sie jedes weitere Wort bereuen könnte?

Da gaben sich die beiden anderen Kolleginnen des Libyen-Fahrers Merz in der Schweizer Regierung doch einiges auskunftsfreudiger. Obwohl: Auch hier schlägt dem Bundespräsidenten nicht eben Begeisterung entgegen. Sowohl Doris Leuthard wie auch Eveline Widmer-Schlumpf, sagten gegenüber der Sonntagspresse, dass Merz‘ Alleingang im Kollegium noch zu reden geben werde.

Widmer-Schlumpf: Rechtliche Bedenken

Justizministerin Widmer-Schlumpf ist sich gar nicht sicher, ob Merz‘ Vertrag rechtlich wasserfest ist, wie sie gegenüber «Sonntag» sagte. Skeptisch beurteilt sie insbesondere das unabhängige Schiedsgericht. Es soll die Affäre um die Festnahme des Gaddafi-Sohns Hannibal in Genf untersuchen.

«Die Genfer Polizei wurde in ihrem Kompetenzbereich tätig, die Genfer Regierung hat ihr korrektes Verhalten attestiert, und jetzt soll ein Schiedsverfahren im Kompetenzbereich der Kantone durchgeführt werden – und das erst noch im Ausland, in London», gab Widmer-Schlumpf zu bedenken.

Leuthard: Darüber wird geredet

Auch Wirtschaftsministerin Doris Leuthard sieht Diskussionsbedarf, wie sie gegenüber Schweizer Radio DRS erklärte. «Wir werden sicher im Bundesrat die Abläufe besprechen», sagte Leuthard in Anspielung auf das Kompetenzgerangel zwischen dem Finanzdepartement von Merz und dem Aussenministerium (EDA) von Micheline Calmy-Rey.

Weder Calmy-Rey noch die Direktion für Völkerrecht hätten den in Tripolis unterzeichneten Vertrag sichten können, hatte das EDA am Freitag verlauten lassen.

Couchepin: «Kenne Inhalt des Vertrags nicht»

Eine Vogel-Strauss-Strategie fuhren bisher Moriz Leuenberger und Pascal Couchepin in der Sache. Leuenberger äusserte sich gar nicht dazu, Couchepin nur folgendermassen: «Ich kenne den Inhalt der Vereinbarung nicht und bin nicht in der Lage, eine Meinung zu äussern.» Dabei ist der Wortlaut des Abkommens seit Donnerstag öffentlich bekannt.

Ausdrückliches Lob erhielt Merz bislang nur von Verteidigungsminister Ueli Maurer. «Der Bundespräsident hat seine Sache gut gemacht», sagte Maurer gegenüber Radio DRS. Kurz, knapp und ebenso überraschend. Ausgerechnet der ehemalige SVP-Polterer Maurer zeigt damit Verständnis für den Kniefall der Schweiz vor dem Wüstendiktator in Tripolis. (SDA/bih)

Allianz für eine Entschuldigung: Militärminister Ueli Maurer (SVP) und Bundespräsident Hans-Rudolf Merz. (Schweizer Illustrierte)

< Straft Merz mit eisigem Schweigen ab: Micheline Calmy-Rey. (Keystone)