Dienstag, 7. August 2012

Viele surfen parallel (Ist Multitasking mit den elektronischen Geräten verwerflich?)

84 Prozent der Befragten einer Studie surfen vor dem TV mit einem Tablet parallel im Web. Eine kranke Entwicklung oder eine Steigerung der Lebensqualität? Medienpsychologe Gregor Waller hat Antworten.

1/5 «Es reicht meistens noch, um dem Handlungsstrang folgen zu können»: Multitasking mit elektronischen Geräten ist für die meisten Nutzer kein Problem, so der Schweizer Medienpsychologe Gregor Waller.
Bild: Reto Knobel

   


Der Schweizer Medienpsychologe Gregor Waller ist Leiter Forschungsschwerpunkt Psychosoziale Entwicklung und Medien an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Er forscht unter anderem in den Gebieten Pathologische Mediennutzung und Internetsucht.

Die Macht des «Zweiten Bildschirms»

«Das iPad ist nicht mobil, es ist ein Computer. Sorry»: Diese Aussage machte Facebook-Chef Mark Zuckerberg vor zwei Jahren.

Tatsächlich legen Studien nahe, dass Tablets bevorzugt in den eigenen vier Wänden eingesetzt werden – und dort wieder vor allem als Zweitbildschirm, während man fernsieht: iPad-Nutzer gamen, sie holen sich Zusatzinfos zum Fernsehprogramm, twittern oder surfen auf Facebook.

Dieses Phänomen nennt sich Second Screen (zweiter Bildschirm). Laut einer kürzlich publizierten Studie der Unternehmensberatungsfirma Anywab nutzen 14- bis 24-Jährige Second Screens am häufigsten. 84 Prozent der Befragten zwischen 14 und 49 Jahren surfen gelegentlich während des Fernsehens im Internet.

Einer im März dieses Jahres vorgestellten PWC-Untersuchung zufolge verwenden fast 86 Prozent der befragten Tablet-Besitzer das Gerät vor allem oder sogar ausschliesslich zu Hause. 

Interview:
Das iPad wird zunehmend als Second Screen auf dem Sofa gebraucht: Man schaut fern und surft nebenbei oder schaut bei Facebook rein. Für Kulturpessimisten der reinste Horror – für Sie auch?

Nein. Was ist so schlimm daran, sich beim Fernsehen kurz bei Wikipedia über einen Schauspieler zu informieren? Oder über einen Filmschauplatz zu recherchieren? Das kann durchaus eine Bereicherung sein. Früher griff man in solchen Situationen zum Programmheft auf dem Tisch oder zum Lexikon im Büchergestell und las darin, was ja auch nichts Verwerfliches war.

Aber geht mit der Parallelnutzung von TVs, Smartphones und Tablets nicht automatisch eine Verarmung des kommunikativ-sozialen Verhaltens einher?

Warum denn? Sitzt man allein vor der Glotze, bringt eine Internetverbindung übers Tablet erst die Möglichkeit zum kommunikativ-sozialen Verhalten während des TV-Schauens. Sitzt man zu zweit oder mit einer Gruppe vor dem TV, kann eine zusätzliche, übers Tablet erhaltene Hintergrundinformation durchaus Grund für eine anregende Diskussion sein.

Ist die menschliche Psyche überhaupt fähig, Multitasking, in diesem Fall mit elektronischen Geräten, zu betreiben?

Unser Gehirn kann echtes Multitasking – also das parallele Ausüben von zwei oder mehr Tätigkeiten – nur beschränkt. Es funktioniert jedoch ganz gut, wenn eine Tätigkeit hochautomatisiert abläuft.

Zum Beispiel?

Die meisten Menschen können ein Auto steuern und gleichzeitig mit dem Beifahrer eine Diskussion führen. Sind aber beide Tätigkeiten wenig automatisiert, so benötigen beide kognitive Ressourcen.

Das führt dann dazu, dass die Tätigkeiten fehleranfälliger oder langsamer ausgeübt werden.

Genau. Die Verarbeitung pro Tätigkeit ist weniger tief. Wenn ich also während eines Spielfilms fünfmal auf dem Tablet etwas nachschaue, bekomme ich weniger vom Film mit, als wenn ich mich nur darauf konzentrieren würde. Es reicht aber meistens noch, um dem Handlungsstrang folgen zu können.

Grundsätzlich sehen Sie in der gleichzeitigen Nutzung von TV und Multimediageräten aber kein Problem.


Die beiden Plattformen ergänzen sich. Auf der einen Seite das eher passive Fernsehen: Das Programm wird von TV-Sendern zusammengestellt und fixfertig nach Hause geliefert. Auf der anderen Seite das Universalmedium Internet, wo ich mir die gewünschten Infos aktiv und gezielt holen kann.

Kann ein Tablet aus medienpsychologischer Sicht grundsätzlich sogar sinnvoll sein?


Tablets haben Potenzial. Spannende Lernapplikationen (etwa Memory-Apps) können das Gedächtnis eines Kindes trainieren. Auch dem Einsatz von Tablets im schulischen Kontext kann ich Positives abgewinnen. Interaktive Lernsoftware könnte hier ergänzend zum Klassenunterricht zum Einsatz kommen.

Apropos: In der Schule wurde uns eingeredet, zu viel Fernsehen mache dumm, weshalb man höchstens eine Stunde pro Tag vor dem TV verbringen solle. Das hat natürlich niemand befolgt. Heute aber habe ich nicht den Eindruck, dass meine Generation irgendeinen Schaden davongetragen hat. Waren die Ratschläge der Pädagogen zu alarmistisch?

TV schauen macht nicht dumm. Es ist nur so: Je mehr ich als Kind vor dem TV sitze, desto weniger Zeit bleibt mir, um andere wertvolle Erfahrungen zu machen. Im Wald zu spielen und auf einen Baum zu klettern ist für die meisten Kinder viel erfüllender als vor dem TV zu sitzen. Die Möglichkeit, solche Erfahrungen zu machen, wird durch einen ausgeprägten Medienkonsum reduziert.

Gleichen sich eigentlich die Argumente von Kritikern beim Aufkommen eines neuen Mediums?


Neue Medien werden beim Aufkommen häufig kritisch hinterfragt – was ja auch Sinn macht. Auch werden oft ein paar Jahrzehnte später, bei einem neueren Medium, die gleichen oder ähnliche Argumente ins Feld geführt. Schon beim Aufkommen der Belletristik im 18. Jahrhundert gab es Personen, die das Leseverhalten dieser Zeit hinterfragten. Ja, es war sogar von Lesesucht die Rede.


Als das TV zum Massenmedium wurde, kam bald der Begriff der TV-Sucht auf...

...dasselbe beim Siegeszug der Videogames. Ich will damit solche möglichen Formen der Verhaltenssucht nicht verharmlosen. Diese existieren durchaus. Der weitaus grösste Teil der Konsumenten kann aber mit den entsprechenden Medien kompetent umgehen. (Tagesanzeiger.ch/Newsnet)


Kommentar:
Das Multitasking darf nicht verteufelt werden. Das surfen auf dem i Pad - während der Fernseher läuft - ist ähnlich, wie wenn wir während einer Sendung im Lexikon etwas nachschlagen. Ich kenne vielen Personen, die haben seit Jahren die Gewohnheit, neben einem Krimi ein Heftchen zu lesen. Persönlich widme ich mich in der Regel nur einem Medium zu und konzentriere mich auf eine Quelle. Der Medienpsychologe weist  auf den Tatbestand hin, dass jemand der gleichzeitig mehrere Sachen erlegt, sich dabei aber auf die Verarbeitung der Tätigkeit weniger vertieft. Wichtig ist und bleibt: Bei allen neuen Medien müssen wir lernen, damit umzugehen.

Bolt sollte nicht unser Vorbild sein

Usain Bolt Usain Bolt of Jamaica competes in the Men's 100m Semi Final on Day 9 of the London 2012 Olympic Games at the Olympic Stadium on August 5, 2012 in London, England.



Im Tagi online sagte  Patric Eisele (Sportpsychologe der Swiss Medical Base, Davos) in einem Interview auf die Frage:

Sollte man sich Bolts Zielsetzung auch als Privatperson zum Motto machen? Können wir von Bolt lernen?


 
Eine hohe Selbstwirksamkeitsüberzeugung bringt mehr Erfolg, auch im Beruf und im privaten Umfeld. Dennoch sollte man sich Bolt nicht sogleich als Beispiel nehmen, weil man sich durch sehr vollmundige Aussagen rasch selber unter Druck setzt. Es ist ratsam, zuerst langsam das Selbstvertrauen aufzubauen, statt mit kämpferischen Parolen um sich zu werfen. Stehen grossen Aussagen nämlich keine entsprechenden Leistungen gegenüber, wird einem das rasch als Arroganz ausgelegt.